Das erste eigene Auto: Mercedes Benz Strich Acht
Als junger Mann musste ich mir den VW Käfer meiner Mutter, mit der Schwester teilen. Im Ergebnis hatte meine Mutter im Prinzip kein Auto mehr und der Rest der Fahrzeugnutzer stritt um den Benzinfüllstand und die Verfügbarkeit des betagten VW 1302. So fasste ich im zarten Alter von 19 Jahren den Entschluss mir mein erstes eigenes Auto zu zulegen. Zwar verfügte ich über so gut wie keine finanzielle Basis, mein gespartes Vermögen von 600,- DM, war schon lange weggeschmolzen, aber bei disziplinierter Vorgehensweise, sollte man diese Situation in einem überschaubaren Zeitraum, grundsätzlich abändern können. Es hat dann noch zwei Jahre harte Arbeit, von Rasenmähen über Altenpflege bis zu Aushilfsjobs in Aktenkellern, gedauert bis ich in dem beschaulichen Städtchen Bottrop meinen ersten Benz fand. Für alle die es sich nicht vorstellen können, es gab eine Zeit vor dem Internet, in der man auf gedruckte Anzeigen, in speziellen Anzeigenblättern, angewiesen war. Im Ruhrgebiet war das angesagte Blatt der so genannte Reviermarkt. Ein reines Anzeigenblättchen in dem man von A wie Auto bis Z wie Zauberzubehör fündig werden konnte. In einer, eher finsteren Zechensiedlung verkaufte ein junger Familien Vater seinen W115 200D mit nur 178.000 Kilometern auf den fünfstelligen Tachowalzen. Die Restgnade des TÜV betrug noch sage und schreibe 12 ganze Monate. Für einen jungen Menschen wohl auch heute noch eine gefühlte kleine Ewigkeit. Eine wirkliche Verhandlung über den Kaufpreis fand aus mehreren Gründen nicht statt. Das unter dem Sprachzentrum angesiedelte Emotionszentrum überlagerte drückend den Restverstand. Die Kraft von „Will haben“ und die Sorge vom Verkäufer unberücksichtigt zu bleiben gaben mir den endgültigen Rest. Außerdem zeigt man ja auch keine finanzielle Schwäche seinem Gegner gegenüber. Kurzum für 1750,- DM (inflationsbereinigt heute 2.123,85 € ) wechselte das Auto nebst seinen Papieren und den gut verdeckten Mängeln seinen Besitzer. Nur noch wenige Tage, dann waren die Formalitäten der Zulassungsbehörden erledigt, und es verblieben sogar noch 40,00 Mark um einen Schluck Diesel tanken zu können. Das erste eigene Auto ist zunächst ein wirklich saugutes Gefühl. Aber anstatt eines Kleinwagen vom Typ Sparvariante, besaß ich nun eine ausgewachsene, chronisch untermotorisierte Limousine. Das filigrane Bakalit Lenkrad mit dem fein verchromten ebenso zierlichem Hubring, ließ sich trotz seines übergrossen Durchmessers, nur schwer bewegen. Hätte der 55 PS starke Mercedes Benz Strich 8 wirklich wesentlich mehr Leistung, bei gleich schwerem Lenkverhalten, in Kombination mit unendlich vielen Umdrehungen von Anschlag zu Anschlag, würde es den ungeübten Fahrer nur all zu oft in arge Verlegenheit bringen. Bei zügiger Fahrweise müsste der Mensch am Volant schnell und kräftig drehen um engen Kurven folgen zu können. Zwar wird in den technischen Unterlagen zu diesem Auto das Wort Leistung verwendet, aber in Wirklichkeit hat dieser Dieselmotor nicht viel mit der physikalischen Definition, wonach die Leistung der Quotient aus der verrichteten Arbeit und der dafür notwendigen Energie ist, zu tun. Die richtige Definition müsste ein Multiplikator von Lärm, nageln und Unwilligkeit sein. Berge und leichte Anhöhen, sind der natürliche Feind des Oelmotor mit der Kennnummer 615. Überholversuche auf Landstraßen sind nur bei akuten suizidalen Absichten zu empfehlen, da hier große Erfolgsaussichten bestehen mit einem 40 Tonner im Gegenverkehr, die Kaltverformbarkeit der soliden W115 Karosserie einem Test unter finalen Realbedingungen zu unterziehen. Später sollte sich das gute Crashverhalten als sehr nützlich erweisen. Dazu aber in einem eigenen Artikel in Kürze mehr.
Mein Strich Achter wurde im Januar 1969 das erste Mal für den Straßenverkehr zugelassen. In seinen Ausstattungsdetails entsprach er nicht mehr der Ursprungsserie, dessen Mittelkonsole optisch geteilt war. Neben dem Bakalit-Lenkrad war auch der Knauf des Mittelschalthebels als kugelrunder Bakalit-Knopf ausgeführt. Dieser war auf einer verchromten Stange moniert, die den eigentlichen Schalthebel bildete. Der Schaltsack war als dreistufiger Kegel geformt. Alle anderen äußeren Merkmale entsprachen der ersten Serie. Also kleine Dreieckfenster in den Vordertüren, glatte Rückleuchten, schmaler Kühlergrill, fehlendes Haifischmaul unter der Front-Stoßstange, fehlende Windabweiser an der A Säule und dem ursprünglichen kleinen Außenspiegel. Sicherlich könnte man diese Liste noch weiter fortsetzen, aber dieser Artikel will ja kein, schon hundertfach publiziertes Wissen, aufwärmen.
Mein umgehendes Bestreben, war jedoch, aus dem Serie 1 Auto ein komplettes Facelift- Model zu bauen. Vorweg sei gesagt, dass es mir nicht gelungen war, weil gerade der Umbau des Vorderwagens erhebliche Änderungen mit sich gebracht hätte. So kamen als erste Maßnahme Kopfstützen in die originalen Vordersitze. Da deren Innenleben keinerlei Vorrichtungen für diese Nachrüstung enthielten, verlängerte ich die Stangen der Kopfstützen im inneren der Sitze mit Kupferrohren. Eine Verstellung in der Höhe war so nicht möglich. Optisch jedoch war, äußerlich, nichts von diesem Provisorium zu erkennen. Weil das so gut funktionierte, habe ich die Aktion gleich für die Rücksitzbank wiederholt. Im Vergleich zur heutigen Zeit,waren Kopfstützen auf der Rücksitzbank ein Merkmal luxuriöser Limousinen. Sie strahlten für den Betrachter, der diesen Anblick nicht gewohnt war, eine gewisse Noblesse aus. Da ich kein Typenschild auf dem Kofferraum mehr hatte, (es war Entrostungsarbeiten am Kofferraumdeckel zum Opfer gefallen) sah der Bauerndiesel – sofern er ruhte – wie eine kleine Staatskarosse aus. Das alte, später als Rarität gesuchte Bakalit – Lenkrad musste dem neueren Vierspeichen Volant weichen. Ebenso wurde der antiquierte Schalthebel, gegen den vollumschäumten der Serie II, getaucht.
Ein sehr markantes Designmerkmal der zweiten Mercedes Benz W115 Modelle waren zweifelsohne die neuen Vordertüren, ohne die kleinen Dreieckfenster. Der Außenspiegel war nun von innen einstellbar, damals eine echte Innovation ! Die neuen Spiegel waren nun größer, dadurch auffälliger, aber eben so schön verchromt wir die Vorgänger. Schnell prägte sich der Begriff Elefantenohren ein. Der eigentliche Umbau der Türen war relativ problemlos zu erledigen, lediglich die Einstellarbeiten erforderten noch ein paar Tage gute Nerven. Einfach war auch der Umbau der Rückleuchten. Meiner Erinnerung nach musste jedoch an der Verkabelung der Steckverbindungen etwas geändert werden.
So war mittlerweile eine Menge Geld in den damals 15 Jahre alten Wagen geflossen, das unendliche Jahr der TÜV-Gnade ging zu Ende und die Stunde der Wahrheit rückte immer näher. Die Vorführung bei den freundlichen Ingenieuren der Überwachungsanstalt endete in einem Fiasko ! Der Unterboden war mit einer derart dicken Schutzschicht versiegelt, das die zahllosen Durchrostungen nicht zu sehen waren. Ich übergab das Auto dem Werkstadtmann meines Vertrauens, mit der Bitte um einen Kostenvoranschlag. Nach ein paar Tagen dann erreichte mich die Hiobsbotschaft ! Es waren Schweißarbeiten in Höhe von 1900,00 DM angesetzt worden. Dies war also ein wirtschaftlicher Totalschaden ! Jedenfalls wenn diese Kosten in Relation zum Anschaffungspreis zu sehen waren. Der Schönrechner kalkuliert aber anders: Anschaffung plus Aufrüstung auf Mopf 2 gleich emotionaler Wert. Und schon war wieder der Verstand erfolgreich abgebürstet worden und per Bankkredit wurde die TÜV-Reparatur bewerkstelligt. Nach einer kurzen finanziellen Rekonvaleszenz nahm ich denn auch gleich die notwendige Sprühdosenlackierung vor, um die farblichen Unterschiede der neuen Türen, dem Rest der Karosserie anzupassen. In diesem Zusammenhang wurde nicht nur weiterer Schönheitsrost beseitigt, sondern die schmale Kofferraumgriffleiste durch die breitere der gemopften Ausführung, ersetzt. Jetzt war es an der Zeit all diese Bemühungen auch einmal zu genießen. Zufriedenheit stellte sich mit dem Werk ein und wirkliche Pläne für weitere Ausrüstungen an dem Fahrzeug gab es im Prinzip nicht. Ein Mercedes Benz Strich 8 bewegte sich im öffentlichen Raum im Jahre 1984 eher unauffällig, da noch unzählige Exemplare, in allen Zustandsvarianten, in der Flora und Fauna des Straßenverkehrs zu sehen waren. Zunehmend waren aber solche Fahrzeuge unterwegs, denen man ihr Arbeitsleben deutlich ansah. Unterbodenschutz bis zur mittleren Zierleiste an den Türen, bunte Karosserien, die aus verschiedenen Anbauteilen, farblich unterschiedlichen Ursprungs waren, setzen ganz neue Design Highlights in die Automobile Welt. Mein Exemplar war in meinen Augen jedoch eines der Besterhaltenen. Leider war das Zeitalter der digitalen Fotomassen noch nicht erfunden – Fotografieren war relativ teuer – und die Zeit, in der mein Mercedes Benz 200 D Strich 8 unversehrt blieb, war leider zu kurz. Und so existieren keine Bilder von dem so mühevoll restaurierten Auto. Ein Geisterfahrer hat dem Mercedes ein fatales Ende bereitet. Einer seiner schon damals legendären Eigenschaften, die Knautschzone, in Verbindung mit der Sicherheitsfahrgastzelle, haben bei diesem Unfall das Schlimmste verhindert. Den ganzen Bericht lesen Sie im nächsten Beitrag