Mit dem Mercedes W123 Taxi durch Berlin
Wenn es um einen Mercedes Benz Klassiker geht – wenn es um einen Mercedes W123 geht – wenn es dann auch noch um den W123 als Taxi geht – dann wird es nicht nur interessant für den
Sterne-Blog, dann wird es auch hoch emotional. Schließlich hat der Verfasser dieses Artikels seine Ausbildung 1986 bis 1990, als Taxifahrer in eben diesem Mercedes, verdient. Grund genug also, um seinen Senf zum Auto und zur Zeit beizutragen. Dazu aber später mehr !
Zeitgenössischer Filmausschnitt von Mercedes-Benz Enthusiast Channel 1
In der zweiten Ausgabe, der Mercedes Benz classic aus dem Jahr 2015, blickt der Autor Jochen Fischer und der Fotograf Yves Sucksdorff auf das Berlin am 9 November 1989 zurück. Ein Rückblick, so versprechen es die Bilder, aus einem Mercedes Benz Taxi der Baureihe W123. Wer dieses Hochglanzmagazin aus dem Hause Mercedes-Benz kennt, der weis, dass es nicht vordergründig um die Technik, die Wartung oder um andere Schrauberdetails geht, nein die Mercedes-Benz Classic Zeitung sorgt für das kulturelle Wohlfühlambiente in Verbindung mit den klassischen Fahrzeugen der Marke Mercedes Benz. Das geht für dieses Zeitungsformat auch völlig in Ordnung, aber das Thema Mercedes W123 Taxi, hat wirklich mehr Aufmerksamkeit verdient, als es dieser geschichtsträchtige Artikel verspricht.
Als Fahrgäste in dieser Inszenierung dürfen die 1984 geborene Natalie Tiburitus und ihr ein Jahr zuvor geborener Mann, Birk, sich mit dem W123 zu den geschichtsträchtigen Schauplätzen der wiedervereinigten Hauptstadt Berlin chauffieren lassen. Als Zeitzeuge fehlt mir hier nicht nur der Hinweis, dass damals die Firma Kienzle die mechanisch-elektrischen Taxameter für die Droschken lieferte. Kurz nach dem Einstieg in die Kunstlederlandschaft (in meiner 340 war es ein dunkles Grün) eines zeitgenössischen W123, griff man als Taxifahrer 1989 noch zumeist nach dem schwarzen Knebel des Taxameters, zunächst nach links schwenkend um eine Sicherung zu lösen, sodann nach rechts um 90°, um das Zählwerk, unter deutlich hörbarem Ratschen, in Gang zu setzten. In der Stadt Essen blätterte die schwarz gelbe Uhr auf drei Mark vierzig, den sogenannten Grundanschlag für die Bereitstellung des Taxis. War die Fahrzeugbeleuchtung eingeschaltet, so erlosch das Licht in dem von uns Vogel genannten, Taxischild auf dem Dach. Es signalisierte dem Publikum dieses Auto ist besetzt und dem Chef, dass die Uhr vorschriftsmäßig jede Fahrt korrekte abrechnete.
Ohrenschmaus von veggiepowered
Gerne legten wir ein Päckchen von Dr. Oetker’s Vanillezucker auf die rundliche Armaturenanalge, zwischen Lüfterschlitz und Windschutzscheibe, um den Tabakrauch der qualmenden Kundschaft, etwas zu Neutralisieren. In meiner ETAX 340, hatte unser damalige Chef, eine chemische Keule für den Fall von unliebsamen, betrunkenen oder kriminellen Fahrgästen deponiert. Dieses auch als Schlagstock bekannte, Werkzeug wurde nicht im Taxipaket der Daimler Benz AG angeboten,
aber er gab uns das Gefühl, im Fall der Fälle irgendetwas in der Hand zu haben, um uns unserer Haut zu wehren. Fahrzeugseitig, stecke der Knüppel links unter dem Armaturenbrett, die Lederschlaufe um den runden, hervorstehenden Löseknopf der Fußfestellbremse gelegt, wurde das andere Ende zwischen der Seitenwand im Fußraum und dem Feststellpedal der Bremse eingeklemmt.
Wer auf einem W123 Dienst tat, der tat das nicht besonders gerne, denn 1989 stand ja auch schon das „gemopfte“ W124 Taxi zur Verfügung. Ein Taximodell auf das ich oft sehr neidisch blickte. Allein der Fahrersitz war dem des W123 um Längen überlegen. Die neuen Motoren konnten – jedenfalls ab dem OM 602 – der schon vereinzelt auftretenden Konkurrenz, der turbodieselnden VW TDI’s, etwas entgegensetzten. Wer zuerst am Halteplatz ist, der bekommt auch schneller den nächsten Fahrgast. Ein wirtschaftlich bedeutender Effekt, schließlich wurden wir mit einer Provision von der Einfahrsumme entlohnt, der Mindestlohn pro Stunde war damals überhaupt undenkbar.
Das W123 Taxifotomodell in der Classic Zeitung war leider bei seiner Fertigung nicht als Droschke ausgelegt. Wie wir erfahren hat es der heutige Fahrzeughalter erst zu einem Taxi umgerüstet. Unüblich war das für die damalige Zeit nicht. Ich erinnere mich gerne an meinen zweiten Taxiunternehmer, dessen W123 240D war aus der letzten Modellreihe stammend, von meinem zweiten Chef umgerüstet worden. Dazu wurde das Auto elfenbeinfarbend lackiert, die Stoffsitze mit robusten Kunstlederbezügen ausstaffiert und das Handschuhfach nahm nun einen digitalen Taxameter auf – natürlich von Kienzle ! Da der doppelte Radioschacht noch nicht erfunden war, musste das Funkgerät sich neben dem Taxameters platzieren. Taxipaket typische Elemente fehlten jedoch. So war das Kartenfach der Fahrertüre nicht verschließbar und die Alubleche an den Innentürkannten fehlten ebenso wie die spezielle Taxiinnenraumbeleuchtung. Die schweren Gummimatten, die einen erhöhten Rand wie ein Backblech aufwiesen, konnten man aus dem Taxipakt bei Mercedes als Originale nachkaufen.
Ein optisches Nogo sind die weißen Blinkergläser an der Berliner Taxe. Lieber Herr Malms, entfernen Sie dieses Lichttuning und geben Sie ihrem Mercedes W 123 die alte, orange Ausstrahlung zurück. Günter Schabowski würde sagen:“sofort, unverzüglich“
Chauffeurfahrt mit dem 420 SE zum Weltkulturerbe Zeche Zollverein von vierkommazwei
Ist der Artikel über diese Mercedes W 123 Taxe dennoch lesenswert ? In jedem Fall ! Das ganze Magazin hat seine Berechtigung in der Klassikerszene. Für die vielen Enthusiasten, die nicht selber zu Ring- und Knarrenschlüssel greifen, ist es eine sehr nette Lektüre über alle Mercedes Benz Klassiker Themen. Auch die Verbindung zu den kulinarischen Highlights auf den Oldtimer Touren sind lesenswert. Und dennoch hätte man das junge Pärchen doch lieber mit einer klassischen S-Klasse vom Schlage eines W126 durch Berlin chauffiert. Weil ihnen dieser Genuss verwehrt wurde, dürfen sie mich gerne auf meinen 420SE ansprechen; Chauffiert von einem ehemaligen Droschkenfahrer vom Essener Baldeneysee zum Weltkulturerbe Zeche Zollverein. Gesessen wird auf edlem, grauen Velours und statt des nagelnden Ölmotors, surrt der Achtender aus dem Maschinenhaus. Wie wär’s ?